Auf einer Liste der bekanntesten Ausbildungsstätten hätte das Bauhaus gute Chancen auf eine Top Ten Platzierung. Das, obwohl die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Schule nur gerade vierzehn Jahre bestand. Die Diaspora der BauhäuslerInnen trug nach erzwungenen Schliessung durch die Nationalsozialisten zur weltweiten Verbreitung der neuen Gestaltungsansätze. Heute gehört die „Wiege des modernen Designs“ zu den in ihrem Bereich am besten erforschten und einflussreichsten Institutionen des 20. Jahrhunderts.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, wie hartnäckig sich der mit grosszügiger Beteiligung von Gropius gepflegte Bauhaus Mythos bis heute hält. Auch die im Jubiläumsjahr wieder zahlreich erschienenen Publikationen werden daran wenig ändern. Zu eingängig ist offenbar die Vorstellung von kubischen weissen Häusern, in denen die Bewohner im Licht der Wagenfeldleuchte auf Breuer-Stahlrohrmöbeln sitzen. In einem ersten Schritt ging es im Vertiefungsfach deshalb darum, einen differenzierteren Blick auf das Bauhaus zu werfen. Dabei stellte sich heraus, dass auf der einen Seite viele Werke, die das Label „Bauhaus“ tragen, höchstens indirekt damit zu tun haben. Ganz besonders gilt das für die Architektur, die in den ersten acht Jahren in Ermangelung einer Architekturabteilung am Bauhaus grösstenteils in Gropius’ eigenem Büro entstand. Andererseits überraschten skurrile Entwürfe wie Lothar Schreyers bemalter Sarg oder der sogenannte Afrikanische Stuhl von Marcel Breuer und Gunta Stölzl als genuine Bauhausarbeiten.
Es zeigte sich, dass sich die Entwürfe grob in drei Gruppen einteilen lassen, die jede quasi für eine „Miniepoche“ am Bauhaus steht: In der Frühphase entstehen am Bauhaus unter dem Eindruck bisweilen esoterischer Lehren expressionistisch bis mystische Arbeiten, wie die bereits genannten. Nachdem Johannes Itten das Bauhaus verlässt und Laszlo Moholy-Nagy berufen wird, ändert sich der Kurs und unter der Devise „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ werden diejenigen Objekte entworfen, die heute gemeinhin als Bauhaus-Klassiker bekannt sind. Eine weitere Kehrtwende erfolgt, nachdem Hannes Meyer die Nachfolge von Gropius antritt. Der rote Basler hält den elitistischen Tendenzen den Wahlspruch „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ entgegen. Unter seiner Ägide entstehen anstelle von Stahlrohrexperimenten leichte und günstige Holzmöbel, das Fach Fotografie wird eingeführt und die neu gegründete Architekturklasse realisiert mit den Laubenganghäusern in Dessau die ersten Projekte.
Die Einteilung in drei „Miniepochen“ gab die Struktur vor, an der wir uns im weiteren Verlauf des Seminars orientierten. Neben der direkten Auseinandersetzung mit dem Bauhaus bestand ein wesentlicher Teil der Übung in der Suche nach Anknüpfungsunkten in und um Basel. Für die Phase des Volksbedarfs waren die Verbindungen dank Meyers Herkunft schnell gefunden. Die mit Meyer bestens bekannten und im Geiste verwandten Protagonisten des Neuen Bauens Paul Artaria und Hans Schmidt realisierten 1930 mit ihrem Beitrag in der Woba und ein Jahr zuvor in der Schorenmatte in Basel Reiheneinfamilienhäuser, die ebenso dem Wohnen für das Existenzminimum verpflichtet waren wie die bereits genannten Laubenganghäuser in Törten, Dessau. Dank der Initiative des Vereins Ein-Haus-Woba ist seit Kurzem ein Haus oder besser Häuschen von Artaria Schmidt wieder im ursprünglichen Zustand zu besichtigen. Ein Besuch vermittelte einen Eindruck, was die Bilder der Musterwohnung in Dessau erahnen liessen: Mit dem nötigen Geschick, lassen sich auf minimalem Raum Wohnungen konzipieren, die den BewohnerInnen nicht den Eindruck vermitteln, auf etwas verzichten zu müssen. Wohnlichkeit und Komfort sind nicht an nackte Quadratmeterzahlen gebunden – das ist heute nicht anders.
Für die Phase „Kunst und Technik“ ergab sich mit der Ausstellung zu Anton Lorenz im Vitra Design Museum zumindest ein temporärer Bezug zum Bauhaus. Susanne Graner, die Leiterin der Sammlung und der Restaurierungswerkstatt des Vitra Design Museums erzählte in einer speziell für das Wahlpflichtfach organisierten Führung von den wechselhaften Tätigkeiten des Anton Lorenz. Er gehörte zu den ersten, die das Potential der Stahlrohrmöbel erkannten, als er die von Breuer am Bauhaus entwickelten Modelle sah. Quasi als streitbarer Schutzpatron dieser und weiterer Klassiker hatte Lorenz einen zentralen Einfluss auf ihre Geschichte, denn erst seine geschickten juristischen Winkelzüge ebneten den Weg für Ikonen wie den Clubfauteuil B3, den Breuer 1925 schuf und der heute zu den bekanntesten Erzeugnissen des Bauhaus gehört. Durch den patentrechtlichen Schutz und das rigorose Vorgehen gegen Kopisten kanalisierte Lorenz die Geschichte des Stahlrohrmöbel: Er förderte „seine“ Entwerfer und verhinderte die Produktion vieler anderer.
Für die expressionistischen Anfangsjahre des Bauhaus in Weimar drängte sich im Raum Basel die anthroposophische Kolonie in Dornach als Bezugspunkt auf. Sicher sind die ideologischen Hintergründe von Steiners Lehre und der am Bauhaus unter Itten propagierten Mazdaznan-Religion unterschiedliche. Die Ursache dafür, dass die beiden Lehren – neben vielen andern – in den 1910er Jahren an Popularität gewinnen, liegt hier wie dort im Ersten Weltkrieg. Für viele Intellektuelle ist er der Beweis für die zerstörerische Kraft der ausser Rand und Band geratenen Technik. Die quasi-religiösen Lehren boten dazu alternative Lebensweisen.
Eine weitere Verwandtschaft liegt in der äusseren Erscheinungsform. So unterschiedlich die Gründe mit dem Leitgedanken der Metamorphose hier bzw. der mittelalterlichen Bauhütte dort für die Gestaltung gewesen sein mögen, sie sind doch beide dem Expressionismus verpflichtet. Zumindest im Vergleich der frühen, noch unter dem Einfluss von Steiner entstandenen Bauten zeigt sich allerdings auch die Unschärfe des Stilbegriffs: Wo in Dornach biomorph anmutende Rundungen den Kontrast zur klaren Kante suchen, orientieren sich die Bauhaus-Arbeiten wie etwa Walter Determanns Siedlungsentwurf oder das bekanntere Haus Sommerfeld am geometrischen Zackenspiel des Kristallinen.
In der Diskussion um Sinn und Unsinn der Stilgeschichte waren wir so nach unserem Spaziergang durch die frühsommerliche Juralandschaft im Geburtsjahr des Bauhauses angelangt. Im Gegensatz zur anthroposophischen Gestaltung, die nach dem Tod ihres Gründers buchstäblich versteinert, zeigt sich das Bauhaus im Rückblick überaus dynamisch. Dass in so kurzer Zeit dermassen vielseitige Arbeiten entstehen, dass in einer einzigen Institution so unterschiedliche Weltanschauungen zum Ausdruck gebracht werden können, ist bis heute gleichermassen faszinierend und erstrebenswert. Anlass genug also, sich immer und immer wieder mit dem Bauhaus zu beschäftigen.