Zeitlos kann man Ron Arads Werk nicht nennen. Zu Klassikern der Designgeschichte werden heute dennoch viele seiner Möbelentwürfe gezählt. Das Vitra Design Museum zeigt im Schaudepot eine Auswahl seiner bizarren Sitzmöbel.
Verbeultes Eisenblech brachial zusammen geschweisst, ausladende Arm- und Rückenlehnen, die an Mickey Mouse-Ohren erinnern, harte Flächen in Schwarz und Chrom, Polster in eindringlichem Rot – all das lässt einen in die Welt der achtziger Jahre eintauchen. Die farbenfrohe Eleganz der italienischen Kunststoffmöbel der frühen Siebziger und der etwas später einsetzende Trend zum rustikalen Interieur mit Hang zum Holz machten damals extrovertierten Einzelstücken Platz. Behaglichkeit, Schönheit und Funktionalität hatten keinen Platz mehr in der Welt der Designavantgarde. Kollektive wie Memphis in Italien oder Entwerfer wie Philippe Starck in Frankreich verstanden ihre Entwürfe als benutzbare Skulpturen und provokativen Kommentar zur Designgeschichte.
In die Reihe der Neuerer gehörte damals auch der 1951 in Tel Aviv geborene Ron Arad. Ähnlich wie sein Schaffen ist bis heute auch sein eigener Auftritt schrill und lebhaft. Und seine Geschichten entsprechend unterhaltsam und pointiert: Wie er anlässlich der Ausstellungseröffnung bemerkte, sei ihm lange Zeit gar nicht bewusst gewesen, dass er ein Designer sei. Eines Mittag hatte er beschlossen, nicht mehr in das Londoner Architekturbüro zurückzukehren, in dem er als Angestellter arbeitete. Stattdessen brachten ihn ausrangierte Autositze auf die Idee für seinen ersten Stuhlentwurf: Auf einem massiven Stahlrohrgestell fixierte er den Autositz aus einem alten Rover. Die Nachfrage für den Ready-Made-Sessel blieb nicht aus. Allerdings entpuppte sich die Suche nach Sesseln auf Schrottplätzen als zu aufwändig und es blieb bei wenigen Exemplaren. Dennoch war der Rover Chair für Arads Karriere massgebend. Dass er Designer sei, hätte er nämlich begriffen, als er die Bildunterschrift zum Sessel in einem Magazin gelesen habe: Da stand, der Designer dieses Sitzmöbels gehöre zu den wichtigsten seiner Zeit.
Vitrabesitzer und Designsammler Rolf Fehlbaum, von dem die Bildunterschrift stammte, war es auch, der später die Stühle fressende Maschine Sticks and Stones rettete. Arad hatte sie für eine Ausstellung zur Wohnung der Zukunft im Centre Pompidou entworfen. Um der Zukunft näher zu kommen, müsse man sich erst der Gegenwart entledigen, so Arads eigenwillige Auslegung des Ausstellungsthemas. Genau das tat und tut heute die Maschine vor dem Vitra Schaudepot: Sie frisst die Entwürfe der Gegenwart und formt sie ähnlich einer Schrottpresse zu kleine Würfeln. Auch hinter diesem Objekt verbirgt sich eine unterhaltsame Geschichte: Weil sich Arad nach Ende der Pompidou-Ausstellung weigerte, dass die Maschine zu Louis Vuitton gelangte, um dort Billigkopien von Taschen theatralisch zu vernichten, wurde ihm eine eintägige Frist gesetzt, sie abzubauen. Fehlbaum half dem in Not geratenen und schickte einen Lastwagen los, um die Maschine in Paris abzuholen. So landete sie wie viele weitere Entwürfe Arads in der Sammlung des Vitra Design Museums.
Der Fokus der Ausstellung liegt denn auch auf den Designs dieser Zeit: Zu den bekanntesten gehören etwa der Well Tempered Chair, den Arad 1986 im Rahmen der Vitra Editionen entwarf: Anstatt die komplexen technischen Möglichkeiten des Stuhlproduzenten zu nutzen, formte er vier Edelstahlbleche zu Schlaufen, die durch Flügelmuttern zusammengehalten wurden. So kombiniert erinnerten sie an die Silhouette eines gemütlichen Armlehnsessels. Ganz im Gegensatz dazu bildete das federnde Blech aber eine unberechenbar federnde Unterlage. Die evozierte Gemütlichkeit entpuppte sich als blosse Illusion.
Während es beim Well Tempered Chair bei einer Kleinstserie blieb, eroberte das ungewöhnliche Bücherregal Bookworm selbst die Wohnzimmer von gemässigten Designenthusiasten. Der Entwurf basierte auf derselben Idee, die auch dem Sessel zugrunde lag: Ein unter Spannung gesetztes Blech kann Lasten tragen – in diesem Fall Bücher. Für die Massenfertigung setzte die Firma Kartell dann bunten Kunststoff ein. Das senkte die Produktionskosten, nahm dem Entwurf aber auch sein rohes Äusseres und seinen improvisierten Charakter. Das gilt im übrigen für die meisten Entwürfe Arads, die in Serie gingen und die im letzten Teil der Ausstellung zu sehen sind. Sie wirken allzu propper und scheinbar grundlos aufgeblasen. Sie stehen den auf Hochglanz polierten architektonischen Entwürfen Arads der letzten Jahre, etwa dem Holon Museum in Tel Aviv (2006-2010) oder dem Interieur für das Watergate Hotel in Washington (2012-2016) näher als die vom spontanen Einfall und scheinbar unmittelbaren Umsetzungswillen getragenen Sitzskulpturen der Anfänge.
So zeitverhaftet diese letzteren auch sein mögen, sie bringen eine rebellische Haltung zum Ausdruck, die man heute angesichts der Rückkehr der gediegen-heimeligen und braven Wohnwelten in Plüsch, Rosa und Gold, vermisst. Man wünscht sich jemanden, der wie Arad offen bekennt, dass er die Designer – sich inklusive – nicht allzu ernst nehmen kann. Denn recht besehen, gäbe es genug Stühle auf dieser Welt. Da brauche es eigentlich niemanden, der neue entwirft.