Bildmotiv Industriearchitektur

Produktionsgebäude, Lagerhallen, Schornsteine, aber auch Büro- und Verwaltungskomplexe gehören schon früh zu den immer wiederkehrenden Plakatmotiven. Ein grober Überblick über die hier ausgestellten Plakate legt zwei unterschiedliche Verwendungsweisen nahe: Auf der einen Seite werden Gebäude gezeigt, die selbst Gegenstand der Plakatbotschaft sind – etwa wenn wie bei der Abstimmung zum Bellerweiterungsbau um die finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand geworben wird – oder wie im Fall der ‘Heuwage-Villa’ im Gegenteil eine Umsetzung verhindert werden soll. Auf der andern Seite werden Darstellungen von Industriebauten für bestimmte Zwecke benutzt, die mit dem gezeigten Gebäude in keinem direkten Bezug stehen. In diesem Fall steht die Industriearchitektur für eine bestimmte Botschaft: So unterstreichen etwa politische Parteien wiederholt ihren wirtschaftsfreundlichen Kurs, indem sie meist nicht näher identifizierbare Fabrik- und Bürogebäude in ihre Wahlplakate integrieren. Wobei auch hier gegenteilige Beispiele zu finden sind, die etwa mit den rauchenden Schornsteinen der Sandoz gegen die drohende Übermacht der chemischen Industrie in Basel mobil machen. Interessanterweise greifen sowohl Wirtschaftsbefürworter als auch kritisch gestimmte Parteien auf praktisch dieselben Motive zurück: Schornsteine, regelmässig strukturierte Hochhausfassaden und langgestreckte Sheddächer stehen bald im positiven, bald im negativen Sinne für Industrie und Wirtschaft.

Industrie als Symbol des Fortschritts

Eine positive Konnotation erfahren Abbildungen von Industriekomplexen bereits im 19. Jahrhundert als nicht selten gesehenes Postkarten- und Fotomotiv. Die grossen, leicht gebauten Fertigungshallen und rauchenden Kamine gaben mit wenigen Ausnahmen Anlass zu ungetrübter Bewunderung und Stolz für die neuen technischen Möglichkeiten. Diese Haltung trifft man wenig später auch in der Bildenden Kunst: Die moderne Grossstadt als eines der Hauptthemen des Expressionismus veranlasst Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner, Schornsteine in die Dresdner Stadtkulissen zu integrieren. Im italienischen Futurismus finden sich ebenso imposante Fabrikkomplexe in den Architekturzeichnungen von Antonio Sant’Elia. So komm es zunächst in der Kunst der 1910er Jahre zu zusehends abstrakten und repetitiven Darstellungen von Industriearchitektur. Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung eigenständiger Symbole bestimmter Werte wie Modernität, Fortschrittlichkeit und Wohlstand, derer sich das Plakat zwischen den beiden Weltkriegen zu bedienen beginnt. .

Die rasche Etablierung und der Erfolg dieser Symbole dürfte auch mit der spezifischen Funktion von Plakaten zusammenhängen. Die einprägsame Formensprache der markanten Gebäudeshiloutten und die klar umrissenen, einfach gegliederten Flächen sind auf weite Distanz lesbar und verhelfen so dem Plakat zur nötigen Durchschlagskraft im öffentlichen Raum und begünstigen die Vermittlung seiner Botschaft wie das Beispiel Rollmaterialvoralge Ja von 1955 zeigt. Manche Plakate warten überdies mit kleinen Überraschungen auf, wenn sie aus der Nähe betrachtet werden – so findet man bei Plakaten, die um 1930 entstandenen sind, bei genauerem Hinsehen detaillierte Darstellungen von Strassenszenen und fein ausgearbeitete Fassaden, mit deren Hilfe sich die einzelnen Gebäude mit einem realen Vorbild identifizieren lassen.

Zweifel am Fortschritt

Neben der positiv aufgeladenen Symbolik lassen sich auch die negativen Beispiele schon früh nachweisen. Sobald im 19. Jahrhundert auch die unmenschlichen Seiten der Industrialisierung erkennbar werden, schlägt sich dies in den Darstellungen nieder. Stummfilmklassiker wie Fritz Langs Metropolis sparen Anfang des 20. Jahrhunderts die Schattenseiten des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht aus und in den folgenden Jahrzehnten nimmt die kritische Haltung gegenüber Wirtschaft und Industrie so weit Überhand, dass sich seit bald vierzig Jahren kaum mehr jemand traut, mit qualmenden Schloten und sterilen Glasfassaden für wirtschaftsfreundliche Politik zu werben. Kritiker machen sich indes die darstellerischen Vorzüge der etablierten Symbole ebenso zunutze wie die Befürworter und läuten so deren Umdeutung ein. Auch bei den seit den 1960er Jahren immer häufiger werdenden Fotoplakaten wird die Flächenwirkung der grossen Industriebauten ausgenutzt – freilich nicht, um auf den technischen Fortschritt zu verweisen, sondern um durch die bedrohlichen Ausmasse auf die Übermacht der Wirtschaft aufmerksam zu machen. Das Bekenntnis der modernen Architektur zu einfachen Baukörpern und flachen Fassaden wird im übrigen nicht bloss den Industriebauten zum Verhängnis: Auch die Befürworter anderer grosser Gebäude sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass wie etwa bei den Initiativen zu den Multiplexkinos oder dem Casinoneubau die für das Plakat günstigen Darstellungsmöglichkeiten gegen die Bauten selber gewendet wird. So scheinen wir denn in einer Zeit zu leben, in der zeitgenössische Architektur überhaupt, aber ganz besonders die Industriearchitektur einen schweren Stand hat, was ihre Darstellung auf Plakaten angeht. Wer sich für diese Dinge einsetzen will, tut momentan gut daran, sie auf seinen Werbeplakat nicht abzubilden.

 

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  1. 1Niklaus Stoecklin: Bell Schlachthaus Ja!, 1926. | Edi Hauri: Basler Flughafen Ja, um 1960
  2. 2Ernst Keiser: Heuwage-Villa Nein, o.J. | Unbekannt: Kleinbasler Freisinnige Liste 1, 1932
  3. 3Edi Hauri: Rollmaterialvorlage Ja, 1955.
  4. 4Unbekannt: Casino-Koloss? Nein! 2007. | Unbekannt: Volksinitiative Nein zum Multiplexkino Heuwaage, 2003.