Hätte es in den 1960er Jahren noch Rittersäle gegeben, sie hätten wohl genau so ausgesehen wie auf der Titelseite der Zeitschrift für moderne Architektur. planen+bauen: Am Kopfende des langgestreckten Saales mit überhoher Decke thront ein grosser Kamin. Der monumentale Rauchfang aus massivem Beton wird von Pfeilern getragen, die kreisförmig um einen Sockel stehen, auf dem das Feuer lodert. Früher trugen Hermenpilaster die Last des mit Jagd- und Kriegsszenen geschmückten Abzugs. Hier sind es schlichte Rundpfeiler und auf dem Abzug folgt ein grafisches Linienmuster bis zur Decke hinauf dem Weg des Rauches. So einfach der Schmuck ist, er nimmt dem sonst monumental anmutenden Feuerstellentempel etwas von seinem Pathos und schlägt die Brücke zu den Möbeln, die in Farbe und Form mit ihm verwandt sind. Sitzgruppen aus gebogenem, rot lackiertem Rohr mit hellgrünen Kissen bevölkern recht ungezwungen den aus roh vermauertem Backstein und Betonelementen umschlossenen Raum. Sie erinnern entfernt an Bambus- und Rattanmöbel, die in den 1950er Jahren so manchen Bereich zwischen Terrasse und guter Stube zierten. Beinahe spürt man ein Südseelüftchen durch den Saal wehen, in dem es sich einst die Herren in den weichen losen Kissen bequem machten.
Akzente im Betongrau
Tatsächlich zeigt das Bild eine Art modernen Rittersaal, handelt es sich doch um den Aufenthaltsraum der Offiziere in der 1968 fertiggestellten Geniekaserne in Bremgarten. Erbaut hatten sie Rudolf und Esther Guyer (*1929 und *1931) zusammen mit Manuel Pauli (*1930–†2002) in vollständig vorgefertigter Bauweise, die damals unter dem Schlagwort der industrialisierten Architektur einige Beachtung fand. Damit wurde eine Forderung umgesetzt, die die Moderne seit den 1920er-Jahren umtrieb: Bauteile sollten so standardisiert werden, dass sie ausserhalb der Baustelle vorgefertigt und vor Ort zusammengesetzt werden konnten. Heute gehören Fertigbauhäuser zwar eher zu den Albträumen der Architekt·innen, damals aber schätzte man die durch die Rationalisierung gerade im Bereich der Industriebauten verkürzte Erstellungszeit und die damit geringeren Kosten weitaus positiver ein. Die Architekt·innen jener Generation wollten den Beweis antreten, dass bei sorgfältiger Planung genauso qualitätvolle Architektur möglich sei, wie beim traditionellen Vorgehen.
Im Fall der Bremgartner Kaserne trug neben der sorgfältig ins Gelände eingebetteten und wohlproportionierten Gebäudetrakte nicht zuletzt die Arbeit der Künstlerin Eva Pauli (*1933) massgeblich zur Qualität des Zweckbaus bei. Eva Pauli bevorzugte kräftige Grundtöne. Dass die im Innern dominanten grauen Betonelemente kaum etwas anderes zulassen, hatte bereits Le Corbusier zum Anlass genommen, seine Farbskala gründlich zu überarbeiten, als er dem Béton Brut gegenüber verputzten Wänden den Vorzug gab. Eva Paulis Arbeit sollte aber nicht nur eine künstlerische Bereicherung sein, sondern auch signaletischen Charakter haben, indem sie die verschiedenen Trakte ähnlich einem Bienenhaus mit Farbcodes versah. Diese Farben laufen an gewissen Stellen zusammen und bilden dort abstrakte Muster. So geschieht es auch auf dem Kamin des Aufenthaltsraums für Offiziere, wo die Fäden der verschiedenen Kompagnien zusammentreffen und durch ihre Kurvenform einen Kontrapunkt zur Architektur bilden, die vom rechten Winkel dominiert wird.
Nebst der farblichen Fassung sind es genau diese Kurven, die nun in der Möblierung ihre Fortsetzung finden. Wie bei der grafischen Wandmalerei Eva Paulis sind es auch hier glatte, fette Linien, die sich gegen die roh belassenen Oberflächen des Innenraums absetzen. Als bewegliche Objekte ist ihr Potenzial, die rigide architektonische Ordnung im positiven Sinne zu stören, sogar noch einiges grösser als das der Malerei. Es wäre aber falsch, die Möbel lediglich in die Rolle des Gegenspielers zur Architektur zwängen zu wollen, zeigt sich doch bei genauerer Betrachtung, dass sie nicht nur mit der Wandmalerei, sondern auch mit der Architektur einiges verbindet.
Startschuss an der Eurodomus
Entdeckt hatten Rudolf und Esther Guyer die Sitzmöbel und Tische 1968 auf der Eurodomus 2 in Turin. Die Möbelmesse war von der einflussreichen italienischen Zeitschrift domus und ihrem leitenden Redakteur Gio Ponti ein Jahr zuvor ins Leben gerufen worden. Die Schweizer Firma INTARC AG präsentierte dort die nämlichen Sessel und bewarb sie sowohl als Möbel für den Wohnraum als auch für den Garten. Firmeninhaber und Designer Gian Franco Legler hatte seinem neuesten Entwurf fast den ganzen Stand gewidmet: Rote Rohre deuteten eine pavillonartige Architektur an. An Querholmen hingen schwarze, mit goldbraunem Blattmuster versehene Stoffbahnen, vor denen die roten Sessel mit grünen Kissen regelrecht erstrahlten. Das eigentliche Geheimnis hinter der ungewohnt dicken Rohrkonstruktion mochte das geübte Auge an den gut sichtbaren, aber an ungewöhnlichen Stellen befindlichen Schweissnähten erahnen. Für alle andern erklärte ein kurzer Saaltext: «Diese Möbel sind aus einem völlig neuartigen, leichten und sehr dauerhaften Kunststoff konstruiert. Die Form trägt den Eigenschaften des Materials Rechnung.»
Elefanten in der Poplandschaft
Tatsächlich erinnerten die Sessel und Tische formal an einen wenige Jahre zuvor gezeigten Entwurf von Gae Aulenti (*1927–†2012). Mit ihrer Gartenmöbelserie Locus Solus gelang ihr nicht zuletzt dank des Filmes La Piscine, in dem Romy Schneider und Jane Birkin auf diesen Möbeln sassen, eine Ikone des Pop-Designs. Leuchtende Farben und Formen, die sich eher an der Geometrie als am menschlichen Körper orientierten, trafen den Nerv der Zeit, in der die schwebende Leichtigkeit der 1950er-Jahre zugunsten einfacher zeichenhafter Formen aufgegeben wurde, die zuweilen auf recht ungestüme Art und Weise eine neue Lebenslust zur Schau stellten. Die neuen Möbel unterwarfen sich nicht mehr dem Diktat der Zweckmässigkeit, sondern erhoben skulpturalen Anspruch.
In einer Louis Kahn (*1901–†1974) zugeschriebenen Unterscheidung zwischen Mücken- und Elefantendesign gesprochen, bricht in den 1960er-Jahren das Zeitalter des Elefantendesigns an: Gegenüber der Mücke, bei der die den verschiedenen Funktionen zuzuordnenden Teile zusammengesetzt werden, wie etwa bei Arne Jacobsens (*1902–†1971) berühmter Ameise, bildet der Elefant eine geschlossene Form, bei der keine Einzelteile differenziert werden können. Aulentis Entwurf hat zwar noch Stahlrohre mit überdimensioniertem Durchmesser, aber die Weiterentwicklungen im Bereich der Kunststoffe überlassen die Gestaltung der Möbelelefanten vor allem dieser neuartigen Materialgruppe. Sie ermöglicht beinahe jede Form und Farbe und hat zudem das Zeug zur Massenware. Sind die nötigen Maschinen und Pressformen einmal vorhanden, lassen sich ohne grossen Mehraufwand grosse Stückzahlen produzieren. Aber genau darin besteht auch die Krux: Die für die Herstellung nötigen Investitionen zwingen die Hersteller praktisch zur Massenproduktion. Und ein weiterer Vorteil erweist sich gleichzeitig als eine Art Nachtteil: Während Holz und Stahl aufgrund ihrer Eigenschaften das mögliche Formenrepertoire stark beschränken, gilt für Kunststoff praktisch ‚anything goes‘. Dass der Kompass der Materialgerechtigkeit fehlt, birgt allerdings auch die Gefahr, sich zu verirren.
(Un)begrenzte Möglichkeiten des Kunststoffs
Zunächst erscheinen GFLs Entwürfe, gerade vor dem Hintergrund der italienischen Möbelproduktion jener Zeit, die er selbst aufgrund seiner Biographie gut kannte, nicht besonders. Im eingangs erwähnten planen+bauen-Heft gibt er aber entscheidende Einblicke in die Entwicklung der Stühle, die so bis heute einzigartig sein dürften. Mehr durch Zufall wurde GFL bei der Besichtigung einer pharmazeutischen Fabrik auf die dort verwendeten PVC-Rohre aufmerksam. Überblickt man GFLs Werdegang zum Designer bis hin zu seiner Rückkehr aus den USA in die Schweiz Anfang der 1960er-Jahre kann man erahnen, wie fasziniert er gewesen sein muss, als er realisierte, mit welcher Leichtigkeit hier vorgefertigte gerade und krumme Rohre zusammenschweisst werden konnten. Vergleichbar der heute verwendeten Abflussrohre im Sanitärbereich mussten lediglich die Schnittflächen erhitzt werden, die man dann kurzzeitig zusammenpresste.
Ursprünglich hatte er die Schweiz nicht zuletzt deshalb verlassen, weil er sich für die neuartigen Kunststoffe interessierte und in den USA anders als in der Schweiz Studiengänge wie Chemistry of Plastics und Fiber Technology belegen konnte. Wenig später arbeitete er bei Jean Otis Reinecke (*1909–†1987), dessen Büro für eine Vielzahl von Kunststoffobjekten verantwortlich zeichnete. GFL war also sehr wohl bewusst, dass Kunststoffprodukte normalerweise nur mit beträchtlichem Aufwand auf den Markt gebracht werden konnten. Gleichzeitig faszinierten ihn die Materialeigenschaften, die besonders im Outdoorbereich gegenüber Holz und Metall wesentliche Vorteile brachten.
Als Inhaber eines Möbelgeschäfts in der Schweiz kannte er aber die Beschränkungen des Schweizer Marktes. Seriengrössen mit gängigen Kunststoffen wie dem mit Fiberglas versetzten Kunstharz waren hierzulande kaum rentabel zu realisieren. Das zeigt ein kurzer Blick in die überschaubare Geschichte des Schweizer Kunststoffmöbels. So gelingen zwar Willy Guhl (*1915–†2004) und kurze Zeit später Hans Bellmann (*1911–†1990) schon sehr früh Sitzschalen aus Kunststoff (Scobalit bzw. Stracolite) aber sie fanden nur bescheidenen Absatz und waren kaum rentabel. Spätere Möbel wie etwa Andreas Christens (*1936–†2006) Stapelbetten und die Polyesterbox verlangten viel Handarbeit, wurden in Kleinserien produziert und blieben entsprechend teuer. In der Schweizer Landschaft bildete wohl die Firma Stella in Bassecourt eher die Ausnahme einer gewinnbringenden Massenproduktion. Der vor allem für Gartenmöbel entwickelte Kunststoff Stellafort wurde praktisch ausschliesslich für den einheimischen Markt verwendet und kam in zahlreichen Gartenrestaurants zum Einsatz. Als einer der erfolgreichsten Kunststoffmöbelhersteller nahm dagegen Vitra schon damals durch seine internationale Ausrichtung sowohl in Bezug auf die Designer:innen als auch auf den Vertrieb eine Sonderstellung ein.
Verlorenes Möbelexperiment
Indem GFL auf Halbfertigteile zurückgreifen konnte, die mit geringstem Aufwand mit sich selbst und mittels einfacher Schrauben untereinander verbunden werden konnten, war das Problem der Massenproduktion gelöst und es konnten auch Kleinserien und Spezialwünsche rentabel realisiert werden. Die Grenzen der Formensprache durch die Materialwahl machte die Gestaltung zu einem primär technischen Problem und nicht zu einem künstlerischen, was GFLs Entwurfshaltung entgegenkam. Ihm gelang damit in der damaligen Möbelwelt eine einzigartige Möbelserie, bei der verschiedene Anliegen erfüllt werden konnten, die vorher als unvereinbar galten: Ein kleinserientaugliches Kunststoffmöbel, ein Ameisendesign mit Hang zum Elefanten und ein utilitaristisch gedachtes Popdesign gleichermassen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Möblierung der Kaserne in Bremgarten nun in etwas anderem Bild. Die bunten Stühle, Sessel und Tische sind nicht einfach als Anbiederung an das Bel- und Popdesign jener Jahre zu verstehen, sondern sie sind aufgrund ihrer Konstruktion eng verwandt mit der Architektur dieser Zeit, die ebenso wie die Möbel aus vorgefertigten Elementen situationsbedingt zusammengesetzt wurde.
Dass dennoch etwas Überzeugungsarbeit von Seiten Rudolf und Esther Guyers geleistet werden musste, um die Schweizer Armee davon zu überzeugen, dieses auffällige Möbelnovum einzusetzen, lässt GFLs Anmerkung über die Zugeständnisse verschiedener Garantien erahnen. Offenbar hatte man einige Bedenken, was die Haltbarkeit der sowohl im Innern als auch auf der Terrasse eingesetzten Möbel anging. Zudem zeigt ein Vergleich der Möbelaufnahmen von der Eurodomus 2 mit denjenigen der Kaserne, dass ein Grossteil der zunächst sichtbaren Schweissnähte bei der Kasernenversion geglättet wurde. Warum das ursprünglich rohere Erscheinungsbild, bei dem die Konstruktion nachvollziehbar bleibt, beim ersten grösseren Auftrag zugunsten einer ‚sauberen‘ Version aufgegeben wurde, lässt sich heute nicht mehr klären. Vielleicht wollte man die Experimentierfreudigkeit der besonderen Kundschaft nicht weiter auf die Probe stellen. Jedenfalls gab der hoffnungsvolle Start der neuen Möbelserie in Bremgarten den Anlass, sie fortan unter dem Namen Brem ins Sortiment der INTARC und später AAREA aufzunehmen. Der namengebende Ort sollte allerdings der einzige bleiben, an dem das in der Schweizer Designlandschaft einzigartige Möbelexperiment grossflächig eingesetzt wurde. Die heute denkmalgeschützte Kaserne wurde bis 2007 saniert. Um so bedauerlicher ist es, dass von der so eng mit der Architektur verbundenen Möblierung nichts erhalten geblieben ist.