Tische für die Direktion

Es ist eine besondere Aufgabe, wenn eine Gestalterin oder ein Gestalter ein Werkzeug für sich selbst entwirft. Frei von den Vorgaben eines fremden Auftraggebers gewährt die Verwirklichung eines solchen Entwurfs nämlich einen tiefen Einblick in die freie Entwurfsarbeit und den dahinter liegenden Überzeugungen. Als Aussenstehende können wir darauf hoffen, dass Erzeugnisse dieser Art mehr über ihre Urheber preisgeben, als wir es sonst erwarten dürfen. Warum sonst sollten wir uns für das eigene Haus eines Architekten oder die eigens entworfenen Stühle in der Wohnung eines Möbeldesigners besonders interessieren, wenn nicht aus diesem Grund?

Die Entwicklung, die die Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel derzeit durchläuft, ist solchen Konstellationen gar nicht so unähnlich, denn auch an ihr wird gearbeitet, ihr neuer Standort wird bezogen und sie wird eingerichtet. Ein Blick in die Geschichte mag daran erinnern, welch kreatives Potential freigesetzt wird, wenn Verantwortliche solcher Ausbildungsstätten für künstlerisch-gestaltende Berufe ihre Bedürfnisse gleich selbst in Ausbildungskonzepte und Architektur umsetzen. Sicher ist es heute weitaus unwahrscheinlicher, dass die Schulleitung sich ihren eigenen Ausbildungsort gleich selbst als Gesamtkunstwerk schafft. Und überhaupt scheint in Zeiten der Informationsgesellschaft die Vorstellung des genialen Schöpfers, der sich über alle Regeln hinwegsetzt und sich ein Manifest aus Stahl und Beton errichtet, an Reiz verloren zu haben. Trotzdem ist die Idee, die Tätigkeit des Entwerfens für sich selbst, als Ausgangspunkt für die weitere gestalterische Arbeit, alles andere als obsolet – darin liegt interessanterweise eine der Eigenheiten des modernen Designs im Gegensatz zu den früheren gestalterischen Vorgehensweisen. Hinzu kommen die stets anwachsende Informationsflut und eine Unendlichkeit an Möglichkeiten, die den Prozess des Entwerfens beeinflussen. Sie fordern, dass der Entwurfsprozess adäquat formuliert wird und zugleich offen für die durch die Digitalisierung und Vernetzung sich laufend verändernden Bedingungen bleibt. Umso wichtiger sind daher die Überlegungen zur Beschaffenheit der Grundlage, mit der die Arbeit am Entwurf überhaupt erst in Gang gesetzt werden kann. Sie gewinnt gegenüber früher enorm an Bedeutung und erfordert den Einsatz neuer Mittel.

Das Projekt, die Büroräumlichkeiten von Direktion, Stab, Services, den Human Resources und den Sekretariaten im neuen Hochhaus-Gebäude der Hochschule für Gestaltung und Kunst auf dem Dreispitzareal einzurichten, mag als Beispiel für einen solchen komplexen Entwurfsprozess dienen. Dabei drohte das reizvolle Vorhaben, Studierende Arbeitsplätze für das eigene Ausbildungsinstitut entwerfen zu lassen, zunächst zu scheitern. In einer ersten Phase glaubte man nämlich, die mit offenen Grundrissen geplanten Büroräume mit zwar hochwertigem, aber letztlich konventionellem Mobiliar ausstatten zu können. Die erste von Vitra vorgeschlagene Möblierungsvariante hätte zwar mehr als bloss praktische Anforderungen erfüllt. Trotzdem stellte sich die Frage, ob nicht eine eigenständigere Lösung im Bereich des Möglichen läge, auch wenn dieser Wunsch zunächst noch ohne konkrete Vorstellungen formuliert wurde.

In dem über die Länge eines Semesters angelegten Fokusprojekts ‹Arbeitsfläche› ging es zunächst darum, Möglichkeiten der Kooperation zwischen der HGK rund um Kirsten Langkilde und Heinz Wagner und Vitra um Jürgen Dürrbaum auszuloten. Die eigentliche Entwurfsarbeit sollte bei verschiedenen Studierenden des Masterstudios Design der HGK liegen, während Vitra als Industriepartner den Fortgang des Projekts mit inhaltlichen Inputs unterstützen würde. Das ambitionierte Unternehmen, in kurzer Zeit bis zur Campus-Eröffnung nicht nur zu entwerfen, sondern auch zu produzieren, wurde zu Gunsten einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Entwurfsprozess aufgegeben.

 

Resultierend aus den vorrangig angestellten Überlegungen zu möglichen Kooperationen bestand das Fokusprojekt in Folge darin, nur die Arbeitsfläche zu gestalten. Als Tischuntergestell hat sich die Projektgruppe auf den Fuss des von Vitra produzierten Programms ‹Ad-Hoc› von Antonio Citterio (1994/2010) geeinigt. Die Tischfläche bildet die unmittelbare Umgebung all jener ab, die in einem Büro arbeiten. Sie ist sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn die ‹Grundlage› der im Büro zu verrichtenden Arbeit. Da die Tischfläche als Unterlage für all jene Gegenstände dient, die wir für unsere Arbeit benötigen, macht sie diese Arbeit überhaupt erst möglich. Zudem ist sie ein Raum bestimmendes Element, das die Gliederung und die Gesamtwirkung eines Büros wesentlich mitprägt. Folglich ist sie auch in ästhetischer Hinsicht als ein zentraler Einrichtungsgegenstand zu bewerten.

 

Durch die Vergabe des Projekts an die Studierenden des Masterstudio Design war es von Anfang an klar, dass den Studierenden als Auszubildenden das Know-how und die Erfahrung fehlten, um ihren Anteil des Projekts alleine bestreiten zu können. Zudem schärften Gespräche die Ansprüche an das Produkt bei gleichzeitiger Beschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel. Durch die Idee, auch den neuen Hochschulschwerpunkt Digitalität ins Projekt praktisch einfliessen zu lassen, sahen Kirsten Langkilde und Heinz Wagner die Chance, nicht nur mit neuen Technologien zu experimentieren, sondern diese auch praktisch bei der Entwicklung der eigenen Arbeitsplätze anzuwenden. Dafür konnten Kai Strehlke und Edyta Augustynowitcz von der Abteilung für Digitale Technologien beim Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron als Praxispartner gewonnen werden. Die Zusammenarbeit mit Strehlke und Augustynowitcz ermöglichte nicht nur den Studierenden den Einstieg in die Technik der generativen Gestaltung und damit in eine aktuelle Entwurfstechnologie, sondern sie bildete auch eine erste interdisziplinäre Kooperation mit einem Praxispartner auf dem Dreispitz-Areal, was mit dem Umzug der HGK auch zukünftig weiter ausgebaut werden sollte.

 

Durch den weiteren Zuwachs an Kooperationspartnern erhielt die sinnvolle Strukturierung des Projekts zusätzliche Dringlichkeit. Die Leitung wurde nun Judith Seng übertragen, die als freischaffende Designerin in ihren Arbeiten schon mehrfach den Entwurfsprozess selbst zum Gegenstand von Installationen und Performances im Übergang verschiedener gestaltender Disziplinen gemacht hatte. Sie führte von nun an die Beteiligten durch die verschiedenen Phasen des Projekts. Dazu entwarf sie einen Ablauf, der von den Recherchearbeiten und der Erlernung neuer Techniken bis hin zur konkreten Entwurfsarbeit und der eigentlichen Herstellung reichte. Im Wissen darum, dass keine echte Wertschöpfung aus einer linearen Abfolge von Einsätzen der jeweiligen Partner entsteht, gestaltete sie die gemeinsame Arbeit als Interaktion. Die jeweiligen Beteiligten sollten auch während der Phasen, in denen sie weniger stark involviert waren als andere, in Standortbestimmungen eingebunden werden und gemeinsam über Probleme und Lösungen nachdenken. Ziel war eine Verflechtung der sonst mehr oder weniger getrennt nacheinander ablaufenden Prozesse.

 

Eine erste Annäherung an das Thema der Arbeitsfläche erfolgte durch die Dokumentation typischer Situationen im Büroalltag. Dazu besuchten die Studierenden nebst den hauseigenen Büros der HGK auch Unternehmen wie Vitra oder Google, die sich intensiv mit der Arbeitsraumgestaltung der Zukunft beschäftigen. In dieser Hinsicht profitierte das Projekt auch von der langjährigen Erfahrung Vitras: Jürgen Dürrbaum ermöglichte aufschlussreiche Einblicke in unterschiedliche thematisch verwandte Studien von Vitra, die es den Studierenden ermöglichten, innerhalb eines neu entwickelten Rasters zentraler Begriffe die eigenen Beobachtungen einzuordnen. Neben den Parametern Format, Grösse, Beschaffenheit von Kanten und Oberflächen, die durch die gegebene Interaktion zwischen Nutzern und der Arbeitsfläche bestimmt werden, kristallisierte sich das Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit heraus. Gerade Büroräume mit offenem Grundriss, wie sie auch im neuen Hochhaus der HGK realisiert sind, vereinfachen Interaktionen und fördern die Transparenz der Abläufe, gleichzeitig bleibt in vielen Fällen das Bedürfnis bestehen, ungestört arbeiten zu können und ein bestimmtes Territorium als sein eigenes beanspruchen zu dürfen. Sich einen eigenen, individuellen Arbeitsplatz einzurichten, ist nicht bloss aus der eigenen Arbeitsweise abzuleiten, sondern auch dem Bedürfnis geschuldet, die eigene Sphäre vom kollektiv genutzten Raum abgrenzen zu können.

 

Diese Überlegungen bestimmten in Folge das zentrale Thema ‹Durchlässigkeit›, das sich beim Entwurf der Arbeitstischflächen als Leitgedanke durchgesetzt hatte. Sollten nachträglich Grenzen markierende Elemente wie Paravents oder vertikal aufragende Behältermöbel vermieden werden, die zudem dem offenen Grundriss direkt entgegenwirkten, bestand die Herausforderung darin, die ‹Durchlässigkeit› an den horizontal ausgerichteten Arbeitsflächen umzusetzen. Dies sollte so geschehen, dass die Integrität des Arbeitsplatzes bewahrt wurde und durch die Mitarbeitenden eine vertraute Umgebung geschaffen werden konnte, ohne dass dies den Austausch mit den andern Nutzern des Büros beeinträchtigte.

 

Im Anschluss an den eher diagnostischen Teil des Projekts sollten nun Entwürfe durch den Prozess der generativen Gestaltung und folglich mittels der digitalen Entwurfstechnologie ausgearbeitet werden. Nebst der Erarbeitung des technischen Know-hows bestand die Aufgabe darin, den adäquaten Einsatz von Programmen zum Zeichnen und Programmieren dreidimensionaler Geometrien am konkreten Entwurfsprojekt zu üben. Wie sich erwiesen hat, provoziert die generative Gestaltung ein Umdenken im Gestaltungsprozess, da sie die konventionelle Vorgehensweise auf den Kopf stellt. Die Vorstellung eines Entwurfs wird nicht mehr in ein Bild auf ein Blatt Papier übertragen oder per Computer gezeichnet, sondern in ein System von Regeln überführt, das die Software visuell umsetzt. Anstelle der traditionellen prozesshaften Konkretisierung wird in der integrativen Gestaltung verlangt, von der ursprünglichen Idee zu abstrahieren. Denn erst wenn sich beispielsweise eine bestimmte Form oder Flächenstruktur durch ein System von Regeln reformulieren lässt, können diese Regeln in einen für den Computer verständlichen Code übertragen werden. Der Code bildet die Basis, um entsprechende Formen zu rekonstruieren. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zur konventionellen Entwurfsmethode, denn das Bild wird nicht mehr vom Menschen selbst gezeichnet, sondern vom Computer anhand der ihm zur Verfügung gestellten Regeln generiert. Das bedeutet unter anderem, dass eine Änderung des so erstellten Bildes nicht durch einen direkten Eingriff ins Bild, sondern nur durch die Einführung anderer oder neuer Regeln und damit einer Änderung des Quellcodes erfolgen kann. Nebst dem Umstand, dass durch diesen digitalen Prozess beispielsweise innert kürzester Zeit eine grosse Menge variabler Elemente auf eine bestimmte Weise angeordnet und diese Ordnung selbst wiederum relativ einfach manipuliert werden kann, liegt ein wesentlicher Vorteil der generativen Gestaltung darin, dass sich der Nutzer – indem er seine Idee in einen bestimmten Algorithmus überführt – sein eigenes individuelles Werkzeug zur Erzeugung komplexer Formen entwickeln kann.

 

Am eindeutigsten von dieser Gestaltungsmethode geprägt zeigte sich die Projektarbeit ‹Hidden Surfaces› der Studierenden Alban Mahrer und Luca Vicente. Ihre Grundidee bestand darin, parallel verlaufende Streifen in die Tischfläche einzulassen, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet unterschiedliche bildähnliche Strukturen ergaben. Die eigentliche Variationsmöglichkeit bestand lediglich darin, dass die Stärke der einzelnen Streifen an beliebigen Abschnitten des betreffenden Streifens vergrössert oder verkleinert werden konnte und diese Veränderungen mit der Form der angrenzenden Streifen gekoppelt wurden. Auf diese Weise entstanden aus einer relativ einfachen Manipulation komplexe Strukturen, die seitlich betrachtet an topographische Reliefmodelle erinnerten und den Blick aus der siebten Etage des Neubaus auf die Hügel- und Strassenzüge der umliegenden Umgebung in den unmittelbaren Arbeitsbereich der Mitarbeitenden übertrugen. Da die Manipulation der Formen über die Veränderung der Werte nur einzelner Parameter erfolgte, bestand der Vorteil dieses Projekts in der einfachen Anpassung der verschiedenen Arbeitsplätze an die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben. Das Thema der Topographie spielte auch bei der am Ende zur Realisation vorgeschlagenen Arbeit ‹Ästhetik des Chaos› von Katharina Berger eine Rolle. Ausgangspunkt war hier zunächst die aus den Beobachtungen verschiedener Arbeitsplätze hervorgegangene Feststellung, dass der Arbeitsplatz selbst eine Art Topographie nebeneinander aufgeschichteter Papierstapel und Gerätschaften bildet. In der zentralen Phase der individuellen Entwurfsarbeit am eigenen Projekt, die durch Inputs zur Materialkunde ergänzt wurde, setzte Katharina Berger das Hauptaugenmerk zunächst auf das Phänomen des Stapels. Es zeigte sich, dass dessen komplexe und zuweilen chaotische Gestalt letztlich aus einer Kombination einer beschränkten Zahl verschiedener DIN-Formate resultierte. Neben diesem durch Form und Farbe geprägten, eher ästhetisch Bezug nehmenden Aspekt, sind Stapel auch Orte der Erinnerung und der Dokumentation. Sie speichern nicht nur die in ihnen abgelegten Informationen, sondern bilden durch ihre Schichtung auch einen zeitlichen Verlauf ab. Denn je tiefer unten im Stapel, desto weiter zurück liegt die dort abgelegte Information und desto stärker ist diese vom Vergessen bedroht. Indem bei der Arbeit ‹Ästhetik des Chaos› die verschiedenen DIN-Formate analog zu den teilweise mehrfach überlagerten Stapeln als Negativform in die Arbeitsfläche hinein gefräst wurden, wandelte sich die Arbeitsfläche selbst zum Erinnerungsträger. Die Anordnung der Vertiefungen wurde mit den verschiedenen Benutzerinnen und Benutzern vorgängig eruiert und nach individuellen Präferenzen ausgerichtet. Die daraus entwickelte reliefartige Struktur der Arbeitsfläche wurde folglich zum Abbild der eigenen Arbeitsweise und bildete auch als leergeräumte Fläche unbewusst vollzogene Bewegungen und Abläufe ab. Gleichzeitig übernahmen die Vertiefungen sowohl funktionale als auch ästhetische Funktionen. Sie sollten dabei helfen, die persönlich bevorzugte Ordnungsstruktur beizubehalten (oder sich bewusst von ihr zu distanzieren) und manche Dinge vielleicht schneller wiederzufinden als bei einer konventionellen Tischplatte. Zusätzlich wurden die horizontal geschichteten Flächen um winkelförmige Filzelemente erweitert, die bei Bedarf in die Vertiefungen gelegt oder gestellt zum einen den abgelegten Gegenständen Halt geben, zum anderen als Raumtrenner einen privaten Bereich unter Wahrung der Durchlässigkeit abschirmen können. Die Platten selbst bestehen aus zwölf Millimeter starkem Corian, in die die Vertiefungen millimeterweise eingelassen werden, so dass weiterhin die Möglichkeit einer flexiblen Benutzung der Arbeitsplätze gegeben ist. Gleichwohl sind die reliefartigen Fräsungen gut sichtbar und versprechen in Kombination mit der porzellanähnlichen Oberflächenbeschaffenheit des Corian das durch die grosszügigen Fenster einfallende Licht während des Tagesverlaufs in einem wechselnden Spiel von Schatten und verschiedenen Weisstönen sichtbar zu machen.

 

Gibt nun der Entscheid, Katharina Bergers Vorschlag umsetzen zu lassen, im Sinne der eingangs formulierten Überlegungen Aufschluss über die Anliegen und Ziele der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst? Sicherlich. Der Arbeitsflächenentwurf darf in mehrfacher Hinsicht als Sinnbild für die Bestrebungen der HGK gesehen werden. Der über die Reliefstruktur geschaffene Bezug zur Aussenwelt erinnert an die am neuen Standort noch stärker gewichtete und gewünschte Zusammenarbeit mit anderen ortsansässigen Institutionen. Darauf, dass eigene, an der HGK entwickelte Arbeitsweisen stets einer kritischen und wohlwollenden Überprüfung unterstehen, verweisen die auf memorative Prozesse hin angelegten Oberflächen. Kernstück des ganzen Projekts bleibt jedoch der insgesamt in Gang gesetzte Entwurfsprozess. Diesen Prozess unter Berücksichtigung zukunftsweisender Technologien als Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren gestaltet zu haben, darin liegt das Hauptverdienst des Fokusprojekts ‹Arbeitsfläche›.