Gae Aulenti

Mit dem Umbau des Gare d’Orsay – einer Ikone der Pariser Jugendstilarchitektur – in ein Museum gelang Gae Aulenti Mitte der 1980er Jahre der internationale Durchbruch als Architektin. Sie gehörte damit zu den ersten Frauen ihrer Profession, die mit einem Projekt dieses Umfangs betraut wurden. Die Kritik war geteilt: Die einen lobten den rücksichtsvollen Umgang, der ganz ohne Anbiederung und Imitation der historischen Substanz auskommt. Die andern erinnerte der roh belassene Stein an ein Grabmal. Die Kritik änderte nichts daran, dass Aulenti in der Folge mit der Transformation einer ganzen Reihe von Bauten zu Museen betraut wurde. Darunter etwa der Palazzo Grassi in Venedig oder das Museu Nacional d’Art de Catalunya in Barcelona. Trotzdem ist Aulenti heute als Architektin weit weniger bekannt als ihre männlichen Kollegen, die den Museumsmarkt mit Aufmerksamkeit erregenden Neubauten besser zu bedienen wussten.

Die Gründe für Aulentis gegenwärtig vergleichsweise geringe Popularität, liegen nicht zuletzt in ihrer Auffassung von Gestaltung. Als sie sich Mitte der 1950er Jahre nach ihrem Architekturstudium in Mailand selbstständig macht, schliesst sie sich der Neoliberty-Bewegung an, die sich in Italien formiert. Im Gegensatz zum damals vorherrschenden Internationalen Stil wie ihn etwa Ludwig Mies van der Rohe verkörperte, war für Aulenti zeitgenössische Architektur nur als Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem kulturhistorischen Kontext denkbar. Deshalb lehnte sie jede Form von Stil ab. Anstatt eine wiedererkennbare Künstlerhandschrift zu entwickeln, zählte bei ihren Projekte der individuelle Umgang mit dem bereits Vorhandenen. Gerade weil Aulenti diese theoretische Haltung kompromisslos in die Praxis umsetzte, bleibt ihr vielfältiges Werk, das von der Produktgestaltung über Theaterinszenierungen bis zur Architektur reicht, bis heute nur schwer fassbar.

Das zeigt sich auch exemplarisch an der kleinen Ausstellung, die das Vitra Design Museum der italienischen Entwerferin nun im Schaudepot widmet. Im Vordergrund stehen hier Möbel- und Leuchtenentwürfe. Aulenti hat sie praktisch ausschliesslich im Zusammenhang mit ganzen Einrichtungen geschaffen. Allen voran ihr bekanntestes Design, die Pipistrello-Leuchte. Der in Sachen Gestaltung progressive Büromaschinen-Hersteller Olivetti hatte Aulenti 1966 mit der Einrichtung eines Showrooms in Paris beauftragt. Für die Beleuchtung entwarf sie eine höhenverstellbare Tischlampe, die sich vom funktionalen Design der Schreibmaschinen klar unterschied und sich zugleich annäherte. So erinnert der geschwungene Lampenschirm an die Flügel der namengebenden Fledermaus und die Lampe insgesamt an eine Palme. Sie verweist so auf etwas den Maschinen gänzlich Fremdes. Dagegen nimmt der zur Schau gestellte teleskopartige Auszug der Lampe direkt Bezug auf die Apparatentechnik.
Der fünfzehn Jahre später entstandene Clubtisch Tavolo con Ruote könnte auf den ersten Blick formal nicht weiter entfernt sein: Eine dicke quadratische Glasplatte ruht auf Industrierollen. Die Schrauben zu ihrer Befestigung bleiben sicht- und greifbar. Und doch sind Lampe und Tisch ideelle Verwandte: Auch beim Clubtisch ist es Aulentis intensive Beschäftigung mit ihrer Umgebung, die sie zur radikalen Lösung bringt. Sie ist mittlerweile künstlerische Leiterin von Fontana Arte – einem Hersteller für Leuchten und andere Objekte aus Glas – und lässt sich von den Rollwagen inspirieren, die in den Fabrikhallen für den Transport schwerer Glasplatten benutzt werden. Hinzu kommt, dass sich sowohl Lampe als auch Tisch wie so viele Entwürfe aus Aulentis Hand bewegen und verändern lassen. Was die stilistisch so unterschiedlichen Objekte also miteinander verbindet, ist, dass sie allesamt Verkörperungen eines bis ins hohe Alter so flexibel wie differenzierten Geistes sind.