Im Sommer 1957 ist es so weit: Die Möbelgenossenschaft eröffnet ihre Basler Filiale an der Güterstrasse. Über fünf Geschosse hinaus reicht ein vor die Fassade gesetzter, illuminierter Aluminiummast anstelle einer profanen Leuchtreklame. Er weist den Passanten den Weg an einen neuen Ort und in eine neue Zeit. Davon zeugt nicht nur der wohlproportionierte Bürotrakt, der auf hohen Stelzen zu schweben scheint, das bekräftigen auch die Möbel, die im darunter geschobenen Ladenpavillon zu kaufen sind.
Kaum den Abschluss als Innenarchitekt in der Tasche, war Kurt Thut gleich mehrfach in das Projekt involviert: Als Mitarbeiter von Hans Fischli beteiligte er sich am Neubau. Als Entwerfer war er gleichzeitig verantwortlich für einen Grossteil der Möbelkollektion der Genossenschaft. Begonnen hatte diese Zusammenarbeit bereits vier Jahre zuvor, als Kurt Thut zusammen mit seinem Studienfreund Alfred Hablützel beim Geschäftsführer Georges Tellenbach in Zürich vorstellig wurde, und Hablützel die Möbel anpries, die der zurückhaltende Thut entworfen hatte. Anfang der Fünfzigerjahre standen die auf dünnen Stahlrohrfüssen ruhenden Geschirrschränke und Kommoden in diametralem Gegensatz zu den schwülstigen Garnituren jener Zeit. Anstelle dunkler Nussbaumfurniere trat helles Birkenholz und statt Flügeltüren mit Messingbeschlägen, gab es nun bunte Schiebetüren, die in verchromten Schienen liefen. Der fortschrittlich gesinnte Chef der Möbelgenossenschaft war nicht nur gewillt, die ‘Thut-Möbel’ zu verkaufen, sondern beauftragte den gerade 22-jährigen auch mit der Gestaltung der Zürcher Ladeneinrichtung.
Der japanisch anmutende Pavillon, bei dem schwebende Flächen Wände und Decken nur andeuteten, stiess auf grosse Resonanz. Alfred Roth veröffentlichte in der wichtigsten Schweizer Architekturzeitschrift einen anerkennenden Artikel. Allerdings gab Thuts Frühwerk nicht nur Anlass zur Freude. Vom Inhaber des Zürcher Wohnbedarfs, der bis anhin praktisch als einziger in Anspruch nehmen konnte, wirklich moderne Möbel zu verkaufen, hagelte es Plagiatsvorwürfe. So oder so war Kurt Thut damit bereits als Student in die erste Riege der modernen Entwerfer aufgenommen worden.
Dabei war diese Entwicklung alles andere als vorgezeichnet. Der 1931 geborene Thut wuchs in Möriken, mitten im Kanton Aargau, als Sohn eines einfachen Schreiners auf. In der väterlichen Werkstatt wurden genau jene Möbel gebaut, gegen die sich der Sohn später wandte. Auf einer Volontariatsstelle, die er nach Abschluss der Schreinerlehre angetreten hatte, wurde ihm geraten, sich an der Kunstgewerbeschule in Zürich weiterbilden zu lassen. Dort traf der Junge vom Land auf Lehrer wie Willy Guhl und Hans Bellmann. Diese Designpioniere liessen Thut nicht nur Stadtluft, sondern Grossstadtluft atmen, wenn sie etwa die Bauten Ludwig Mies van der Rohes oder Le Corbusiers zeigten. Für die skulptural anmutende Architektur des letzteren mochte sich Thut nicht begeistern, um sehr mehr aber für Mies’ Kunst der Reduktion.
Der Einfluss dieses neu gewonnenen Vorbilds zeigt sich nicht nur in vielen frühen Möbelentwürfen Thuts, sondern auch im lichtdurchfluteten Werkstattgebäude, das er als Erweiterung der Schreinerei in Möriken Ende der Fünfzigerjahre realisiert. Thut macht keinen Hehl daraus, wer bei seinen Entwürfen Pate gestanden hat. Ob beim Design für einen Kreuzzargenstuhl oder einem Möbelprogramm aus weiss beschichteten Platten mit dunklen Echtholzkanten – es ist klar, dass dort Max Bill und hier Hans Gugelot das Vorbild ist.
Thuts Art, sich mit den Leistungen anderer auseinanderzusetzen, ist die Adaption. Dabei geht es nicht um die Herstellung von billigen Kopien, sondern das Bedürfnis, diese Entwürfe wirklich zu verstehen. Diese Transferleistung gepaart mit dem Anspruch, auch kleinste Details präzise auszuarbeiten, führt zu Entwürfen, die ohne weiteres neben ihren Vorlagen bestehen können.
Die Fähigkeit, Prinzipien aus einem Kontext auf einen andern zu übertragen und entsprechend anzupassen, hat ein gutes Vierteljahrhundert später zu einer Reihe von Möbeln geführt, die einem breiten Publikum unter dem Label ‘Thut-Möbel’ auch heute bekannt sind. Thut hatte 1976 die Schreinerei des Vaters übernommen und es dauerte einige Jahre, bis er den Betrieb so umstrukturiert hatte, dass er in einem mittlerweile von Billigmöbel dominierten Markt bestehen konnte. Zehn Jahre später feierte der 55-jährige Thut sein Comeback als Möbelentwerfer: Entgegen allen postmodernen Tendenzen zeigte er auf der Schweizer Möbelmesse in Bern einen schlichten Kleiderschrank, dessen Skelett mit geripptem Aluminiumblech überzogen war. Die Frische des Entwurfs veranlasste einen schlecht informierten Journalisten dem vermeintlichen Jungstar telefonisch zu seinem Erstlingswerk zu gratulieren.
In der Folge stellte der Altmeister in regelmässigen Abständen seine neuen Entwürfe vor: der faltbare ‘Balgen-Schrank’, das auf jede Breite ausziehbare ‘Scherenbett’ oder der mit lichtdurchlässigem Gewebe bespannte Folienschrank. Die Ideen dazu stammten nun nicht mehr von andern Entwerfern, sondern waren von Prinzipien abgeleitet, wie sie etwa bei alten Kameras, ausziehbaren Pfannenuntersetzern oder im Flugzeugbau verwendet wurden.
Dank solchen Innovationen wurde Kurt Thut selbst zum Vorbild für andere und zu einem der wichtigsten Schweizer Entwerfer für moderne Möbel. Für uns ist tröstlich, dass uns seine Möbel auch über seinen Tod hinaus begleiten werden. Kurt Thut wäre diese Vorstellung vermutlich recht gewesen: Bescheiden wie er war, stellte er lieber sein Werk als seine Person ins Rampenlicht.