MEWA

Kaum ein Alltagsgegenstand aus den dreissiger Jahren ist so jung geblieben, dass er auch heute noch Anlass zu so ungeteilt positiven Reaktionen gibt wie die Schuhputz- und Werkzeugkisten Wilhelm Kienzles. Wobei sich die Begeisterten in zwei Gruppen teilen lassen: Zum einen sind da all jene, die beim Anblick der praktischen Box daran erinnert werden, dass eine solche Kiste zur Grundausstattung des elterlichen Haushalts zählte. Zum andern gibt es die – meist nicht aus der Schweiz stammenden – „Neulinge“, die das praktische Utensil zum ersten Mal erblicken. Über die unbelastet nostalgischen Gefühle der ersten Gruppe kann man sich immerhin wundern, wenn man bedenkt, dass die Kiste doch unweigerlich die Erinnerung ans Schuheputzen hervorrufen muss. Die Reaktion der zweiten Gruppe allerdings ist aufschlussreicher, wenn es um die Qualität des Kienzle’schen Entwurfs geht. Was genau ist so faszinierend an der Blechbox mit Dreieckdach?

Vermutlich steht ganz am Anfang die Freude darüber, trotz ungewohnter Form, sofort zu verstehen, welchen Zweck der Behälter erfüllen soll – keine Selbstverständlichkeit für eine einfache Kiste. Die Ikonographie macht unmissverständlich klar, dass es hier um Dinge aus verschiedenen Bereichen des Haushaltens geht, für die üblicherweise kein bestimmter Ort vorgesehen ist: Ein etwas antiquierter Stiefel mit Bürste für den Schuhputzkasten, Hammer und Beisszange für die Werkzeugbox und ein Kreuz für die Tragapotheke.

Anlass zur Freude gibt aber auch Form- und Farbgebung: Die häufige Ausführung mit grauem Behälter und rotem Deckel lässt unweigerlich an ein Häuschen mit Satteldach denken. Kienzle hat ein Zuhause fürs Haushaltsgerät entworfen. Ein Haus im Haus – ein Behälter im Behälter eben, in dem wir leben. Und so wie wir uns als Bewohnerinnen und Bewohner über den praktischen Grundriss unserer vier Wände freuen, staunen wir hier über das mit so viel Raffinesse vorgetragene Design. Etwas so simples wie eine Schachtel noch besser zu machen, darin besteht die Kunst, die wir gerne bewundern.

Das mit einem klappbaren Tragebügel versehene Format ist handlich genug, um es an den Ort des Geschehens mitzunehmen, und es ist geräumig genug, um das im Haushalt nötige Gerät darin unterzubringen. Aus der Funktion abgeleitet ist aber nicht nur die Grösse, sondern auch die Inneneinteilung: Drei fixe Fächer im Schutzputzkasten halten Bürsten, Schuhwichse und Ersatzschuhbändel sauber voneinander getrennt und schaffen Übersicht.

Beim sonst nicht weiter unterteilten Werkzeugkasten steckt ein länglicher Behälter in der „Giebelzone“ für Schrauben und Nägel. Seine Platzierung ist wohl durchdacht: Der geschlossene Deckel garantiert, dass die Kleinteile an dem für sie bestimmten Ort bleiben. Um den Zugriff auf das übrige Werkzeug nicht zu behindern, ist der Einsatz bloss gesteckt und kann abgenommen werden. Die Konstruktion seiner Unterteilung offenbart sich zudem als doppelter Glücksgriff: Ein einziges Stück Blech grenzt wellenartig gebogen vier Fächer voneinander ab. Das vereinfacht nicht bloss die Herstellung, sondern erleichtert auch die Handhabung: Selbst kleinste Nägel lassen sich bequem herausnehmen, ohne dass sie sich am rechtwinkligen Übergang von Boden und Seitenwand verkanten.

Das Innenleben der Hausapotheke umfasst eine von Drahtbügeln getragene Edelstahlschale, die bei Bedarf als hygienische Ablagen für „Operationsbesteck“ und Verbandszeug dient. An elastischen Gummibändern lassen sich Pflaster und Gazen direkt am Deckel festmachen, um sie beim Öffnen gleich griffbereit zu halten. Ansonsten fehlt dem Kasten eine weitere Unterteilung. Lediglich eine in den Kistenboden eingelegte Fotografie zeigt in Aufsicht, wie man die Apotheke vorteilhaft bestücken kann. Darüber hinaus wartet die Notfallbox mit einem Spezialverschluss auf – einer abschliessbaren Schnalle an der Deckelmitte als Kindersicherung.

Allen Kisten gemeinsam sind die doppelt abgekanteten Klappen. Anstelle eines abnehmbaren Deckels garantieren sie auch nach Jahren des Gebrauchs ein einfaches Öffnen und Schliessen. Am oberen Klappenrand überlappen die Bleche, so dass das obere das untere zuhält und die Kiste zugleich dicht schliesst. Der untere Rand ist so zurückgebogen, dass die Deckelbleche bei geöffnetem Zustand in der Waagrechten gehalten werden und damit als zusätzliche Ablageflächen für Werkzeug und Schuhfett dienen, mit denen man sonst Flecken auf dem Boden riskieren würde.

MEWA und Kienzle – bekannte Unbekannte

Solche Qualitäten blieben auch in der Schweiz der Nachkriegszeit nicht lange unbemerkt und so gehörten die praktischen Blechhäuschen bald schon zum Grundinventar des helvetischen Haushalts. 1954 erfolgte der Ritterschlag mit der Auszeichnung der Guten Form an der Mustermesse in Basel, wo Alfred Altherr Sen. als Organisator der von Max Bill initiierten Nabelschau eidgenössischen Schaffens veranlasste, Kienzles Haushaltshilfen als geschlossene Gruppe zu präsentieren. Dieser Erfolg ist wenig überraschend: Bescheiden im Auftritt, praktisch in der Handhabung, dauerhaft, vor allem aber Ordnung und Sauberkeit schaffend – die schweizerischen Kardinaltugenden hatten sich bis dahin wohl kaum je in einer 36 mal 22 mal 13 Zentimeter messenden Schachtel unterbringen lassen.

Überraschend ist dagegen, dass angesichts des durchgängigen Erfolgs und einer weit mehr als sechzigjährigen Produktionsspanne, so wenig über die Entstehung und Entwicklung dieses Klassikers bekannt ist. Zumal es sich bei ihrem Schöpfer um eine zentrale Figur der Schweizer Designgeschichte handelt und auch der Hersteller kein Unbekannter ist. Letzterer hatte unter dem Namen Blattmann Metallwaren und später unter dem Kürzel MEWA die berühmten Landistühle hergestellt, die Hans Coray entworfen hatte und von denen selbst Charles und Ray Eames ein Exemplar in oder besser vor ihrem Haus in Pacific Palisades besassen. Weniger auffällig aber bis in die 1960er Jahre für den Schweizer Alltag bedeutsamer waren etwa die weit verbreiteten Kohlekessel aus Metallblech oder Caldor und seine Nachfolgerin TECA, die Wasserkocher aus tiefgezogenem Aluminium. Und nicht zu vergessen die Gamellen und Feldflaschen, aus denen sich ganze Rekrutengenerationen verpflegten.

Von grosser Bedeutung für die Schweizer Designgeschichte ist der ursprünglich aus Basel stammende Wilhelm Kienzle allein deshalb, weil er ab 1916 für mehr als drei Jahrzehnte als Lehrer für Innenausbau an der Gewerbeschule in Zürich amtete, nachdem er vorübergehend in München gelebt und eine Zeit lang im Architekturbüro von Peter Behrens in Berlin gearbeitet hatte. Damit prägte sein Unterricht zahlreiche Innenarchitekten – einer der bekanntesten seiner Schüler war Willy Guhl, der später den Posten seines ehemaligen Lehrers übernehmen sollte.

Es gibt mehrere Gründe dafür, dass trotz dieser scheinbar günstigen Ausgangslage, die Quellen so dürftig ausfallen. Zwar feierte MEWA noch 1989 ihr hundertfünfzigjähriges Bestehen mit einer Schau an der Zürcher Schule für Gestaltung und zwei Jahre später richtete Claude Lichtenstein am selben Ort eine Ausstellung zum Designpionier Wilhelm Kienzle aus. Aber weder das eine noch das andere Mal wurden die Geheimnisse rund um die Entstehung des Schuhputzkastens der Nation wirklich gelüftet. Keine zehn Jahre später ging dann das Traditionsunternehmen, das einst so erfolgreiche Haushaltsprodukte hergestellt hatte, in Konkurs. Von der stolzen Wädenswiler Firma übrig geblieben sind Reste des Archivs, die heute feinsäuberlich in Kartons verpackt vom Museum für Gestaltung in Zürich aufbewahrt werden.

Was Kienzles Persönlichkeit angeht, kommen all jene, die ihn kannten, einhellig zum Schluss, dass er ein überaus bescheidener Mensch war, der neben grossen Entwürfen wie einem der ersten modularen Gestellsysteme und einer ebenso innovativen Schuhkippe einen ausgesprochenen Sinn für die kleinen praktischen Dinge des Lebens hatte, ohne dabei seine Verdienste an die grosse Glocke zu hängen. Dazu passt auch, dass er im während seiner Schaffensphase anhaltenden Streit zwischen den Anhängern des (Kunst-)Handwerks und den Modernen, die sich für typisierte Serienprodukte einsetzten, keine eindeutige Position beziehen mochte. Er richtete sich nach dem, was der Zweck in seinen Augen gerade forderte: Die Einzimmerwohnung eines Junggesellen sollte vor allem zweckmässig sein und so stattete er sie 1928 mit Typenmöbeln aus Stahlrohr aus. In einem von Hans Fischli umgebauten Dachstock eines alten Bauernhauses setzte er dagegen zehn Jahre später handgefertigte Neuinterpretationen traditioneller Stabellen ein. Das Haus gehörte Willy Blattmann, dem Inhaber der gleichnamigen Metallwarenfabrik. Für sie hatte Kienzle zu diesem Zeitpunkt unter anderem bereits einen Blechbehälter für Putzzeug entworfen, dessen Namensgebung Ke-Wi für Kehrer und Wischer wohl im zu Abkürzungen neigenden Militärjargon sein Vorbild gehabt haben dürfte. Seiner Nachwelt erscheint Kienzle am ehesten als Praktiker und Tüftler, der sich lieber um die Verbesserung des Alltäglichen kümmerte als um Ideologien. Was nicht heisst, dass er sich nicht mit geistigen Inhalten auseinandersetzen mochte, wie sein auf geometrischen Grundformen beruhendes Spiel Trigon zur Genüge beweist. Wenn Kienzle denn eine Doktrin vertrat, dann die, dass einer erfolgreichen Serienproduktion immer ein handwerklicher Prozess vorangehen muss: „Die maschinelle Fabrikation bedarf jedoch der Handarbeit für ihren wichtigsten Teil, für die Vorarbeit. Diese stellt grosse Anforderungen an das handwerklichen Können eines Arbeiters.“ (Bauzeitung 9/1937) Früh schon begreift Kienzle zudem die Entwurfsarbeit als evolutionären Prozess und nicht als Geniestreich eines Einzelnen. Entwerfen ist demgemäss eine praxisorientierte, mitunter über Jahre andauernde Tätigkeit, an der Entwerfer und Produzent beteiligt sind und die auch in der Phase der Produktion weitere Verbesserungen mit sich bringen soll.

So positiv sich diese praktische Herangehensweise und sein bescheidenes Selbstverständnis als Gestalter auf seine Entwürfe ausgewirkt haben mag, es hat wohl auch mitverursacht, dass wir heute so wenig über Wilhelm Kienzle und sein Schaffen wissen. Immerhin bleibt uns das reichhaltige Vermächtnis, das er uns in den vielen Haushalten hinterlassen hat. Wenn wir also mehr über die fröhlichen Haushaltskisten erfahren möchten, müssen wir sie selbst befragen. Und gerade darin liegt der Wert einer Sammlung wie der hier vorliegenden, indem sie uns die Möglichkeit des Vergleichs gibt und damit die Basis für die Beantwortung dieser Fragen legt.

Von der Dachrinne zur Hausapotheke – Design als evolutionärer Prozess

Erstaunlich ist zunächst die Tatsache, dass der an sich so simple Behälterentwurf in schier unzähligen Varianten auftaucht. Diese grosse Zahl scheint Kienzles Verlangen nach stetiger Verbesserung zu belegen, wirft aber gleichzeitig die Frage nach dem Ursprung und dem Entwicklungsverlauf auf. Da offenbar weder Pläne noch Patente existieren, lässt sich das Entwurfsdatum nur indirekt rekonstruieren. In einem Artikel mit dem Titel „Neues Wohnen in der Schweiz“ für die Neue Zürcher Zeitung schreibt Kienzle im Sommer 1938 unter anderem über den von ihm entworfenen Ke-Wi-Behälter und die Zimmer-Giesskanne, erwähnt aber weder den Schuhputz- noch den Werkzeugkasten. Tatsächlich belegen die aus den dreissiger Jahre erhaltenen illustrierten Preislisten für Blechwaren aber Folgendes: 1934 taucht noch keiner von Kienzles Entwürfen auf, im Frühling 1936 wird das Ke-Wi als Neuheit eingeführt, im Winter 1936/37 folgt dann unter der Artikelnummer 1555 der Schuhputzkasten aussen grau bzw. crèmeweiss und innen schwarz lackiert. Das Entwurfsdatum fällt damit mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 1936. Erst im Frühling 1938 erscheinen dagegen die Zierpflanzengiesskanne und der Wäschebehälter als Neuheiten.

Mit dem Entstehungsdatum ist allerdings noch nichts zum Ursprung der Idee gesagt. Einen Hinweis darauf, dass Kienzle ein direktes Vorbild hatte, gibt die Firmengeschichte der Blattmann’schen Metallwarenfabrik. Deren Ursprünge liegen in einem kleinen Spenglerbetrieb, der von Gottfried Blattmann 1838 gegründet und von seinem Sohn und dessen Enkeln weitergeführt wurde. Die Arbeit draussen an den Dächern in luftiger Höhe stellte spezielle Anforderungen an die Werkzeugkisten der Spengler. Die sogenannte Spenglerbüchse bestand im Prinzip aus einer auf den Kopf gestellten Dachrinne mit zusätzlichem Boden und konnte vom Handwerker selber angefertigt werden. Der langgezogene Behälter besass eine halbrunde Oberseite, die an der Kastenseite mit Scharnieren befestigt war und weggeklappt werden konnte. Dieser Deckel erinnerte nicht nur äusserlich an ein Tonnendach, sondern übernahm auch dessen Funktion, indem es bei Regen das Ablaufen des Wassers gewährleistete, um so das Werkzeug trocken zu halten. Ein in den beiden „Giebeln“ der Kiste angebrachter Lederriemen und die schlanke Kastenform ermöglichten es dem Handwerker, die Kiste stets bei sich zu tragen, wenn auf der Leiter oder dem Gerüst die Abstellmöglichkeiten fehlten.

Kienzle hat solche Behälter mit Bestimmtheit gekannt. Dass sie den Ausgangspunkt für seine Haushaltskisten bildeten, legen die dachartige Konstruktion mit Klappdeckel und der Tragebügel nahe. Kienzle passt die Spenglerbüchse an den Hausgebrauch an: Ein Satteldach anstelle einer Tonne ermöglicht es, die Klappen gleichzeitig als Abstellflächen zu benutzen. Ein fester Metallbügel statt eines Lederriemens macht die Kiste schneller griffbereit. Ein etwas breiteres, flacheres Format ist zudem übersichtlicher. Selbst nach diesen Modifikationen bleibt der Ursprung als Werkzeugkiste noch nachvollziehbar, denn die Länge wählt Kienzle offensichtlich so, dass ein Hammer gut Platz findet. Dieser Tatsache zum Trotz belegen die Preislisten und Bilder aus der Entstehungszeit nur den Schuhputzkasten, der analog zum Ke-Wi-Behälter („Durch Ke-Wi Ordnung und Sauberkeit“) mit einer Papieretikette versehen wurde, die die Aufschrift trug: „Schutzputzkasten – einfach, sauber und praktisch“.

Der genaue Zeitpunkt der Einführung der Werkzeugkiste lässt sich mangels Preislisten aus den vierziger Jahren nicht mehr genau eruieren. Erst der Verkaufskatalog von 1950, in dem erstmals auch der MEWA-Küchenboy und das möglicherweise ebenfalls von Kienzle entworfene MEWA-Putz-Necessaire auftauchen, enthält den Werkzeugkasten als eigenständigen Artikel. Anstelle einer blossen Papierschleife wie beim Schuhputzkasten, die vor dem Erstgebrauch entfernt wurde, beschloss man den Verwendungszweck bei der Werkzeugkiste zweisprachig mit schwarzer Schablonenschrift auf den Deckelklappen festzuhalten. Nötig wurde die Beschriftung deshalb, weil die mehrheitlich grauen Kisten ununterscheidbar waren und erst ein Blick ins Innere Gewissheit brachte, ob man nun den Werkzeug- oder den Schuhputzkasten in der Hand hielt. Die Farbgebung blieb nämlich bis zu diesem Zeitpunkt uni: Bei der günstigsten Ausführung wurden Kisten und Deckel einheitlich grau lackiert, während die Schuhputzkiste als teurere Variante aussen in crèmeweiss und später in blau, grün, rot, gelb und innen schwarz erhältlich war, wobei die dunkle Farbgebung innen als notwendig erachtet wurde, weil so mögliche Flecken der Schuhwichse kaum auffielen. Das MEWA-Logo wurde in der frühen Phase noch nicht in die Deckelklappen geprägt, sondern mittels Schablone goldfarben aufgetragen. Bei den frühen Kisten war überdies der Tragebügel an beiden Enden mit einer einfach Niete am Kasten befestigt, so dass er mit etwas Druck zur Seite gelegt werden musste, wenn man die Kiste öffnen wollte.

Abbildungen und Kataloge belegen, dass ab Mitte der fünfziger Jahre weitere Verbesserungen realisiert werden konnten: Dank einer Art Schlüssellochöffnung und einem speziell geformten Bolzen konnte der Bügel mit Zug nach oben in der Senkrechte stabilisiert werden, fiel aber ohne weiteres Zutun seitlich weg, wenn man die Kiste auf den Boden stellte, so dass sie mit noch weniger Aufwand geöffnet werden konnte. Zudem fällt die schwarze Innenlackierung zugunsten einer innen wie aussen einheitlich grauen Farbgebung des Bodens wohl aus zwei Gründen weg: Zum einen verdunkelte das Schwarz den Kisteninnenraum zusätzlich und erschwerte die Übersicht über die Werkzeuge. Zum anderen erleichterte die Vereinheitlichung den Herstellungsprozess, da der Behälter nun in einem Durchgang eingefärbt werden konnte. Um aber nicht auf die fröhliche Farbigkeit verzichten zu müssen, wurden die Deckel nun ebenfalls innen und aussen in gelb, grün oder rot gespritzt. Und für all jene, die es gewohnt einheitlich mochten, wurde nach wie vor eine preiswerte, durchwegs graue Kiste angeboten, die sich angesichts der erhaltenen Exemplare gut verkauft zu haben scheint.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur populären Ausführung mit den auf den Deckelklappen aufgemalten Symbolen, scheint Wilhelm Kienzle kurz vor seinem Tod 1958 noch eingeleitet zu haben. Von ihm ist eine nicht genau datierbare Skizze erhalten, auf der die Werkzeugkiste mit Beisszangen- und Hammersymbol versehen ist. Tatsächlich erscheint in der Preisliste von 1957 die Werkzeugkiste erstmals statt mit Aufschrift mit den Werkzeugsymbolen. Dem Schuhputzkasten fehlt dagegen noch bis in die sechziger Jahre der bekannte Stiefel mit Bürste. Eine genaue Datierung seiner Einführung ist auch hier mangels Quellen nicht möglich – sie fällt wohl in die Mitte der sechziger Jahre. Zum selben Zeitpunkt dürfte zum einen die Tragapotheke lanciert worden sein, die sich mit ihrer blauen Farbgebung deutlich von den andern Kisten abhebt. Vermutlich war sie aufgrund der Edelstahlschalen und des zusätzlichen Verschlusses einiges teurer und wurde entsprechend seltener gekauft. Zum anderen gab es die Werkzeugkiste als zehn Zentimeter längere Jumboversion, die nach Angabe des Herstellers sogar Platz für die Handsäge bot.

Solche Diversifizierungambitionen bezeugen, dass in den sechziger Jahren gewissermassen das goldene Zeitalter der Kienzle’schen Allzweckboxen angebrochen war. Es sind die Kisten aus dieser Zeit, die die Designqualitäten eines Schweizer Taschenmessers besitzen und die den Grund für die eingangs beschriebene Faszination liefern. Danach jedenfalls nimmt der wirtschaftliche Optimierungsgedanke des Herstellers überhand. So verschwindet nicht nur der elegante Bügel, der wahrscheinlich in den späten siebziger Jahren günstiger montierbaren Handgriffen weichen muss, die direkt am Deckel angebracht werden, sondern auch die von Hand aufgetragenen Symbole werden wieder aufgegeben. Stattdessen soll eine zeitgemässe Orange-Braun-Lackierung den Absatz garantieren.

Der fähige Handwerker, den Kienzle für die Entwicklung von Serienprodukten gefordert hatte, scheint zu diesem Zeitpunkt den Betrieb verlassen zu haben, um nicht zu sagen das sinkende Boot. Am Untergang der Firma und damit auch einem der erfolgreichsten Schweizer Haushaltsprodukte können schliesslich auch die letzten MEWA-Schuhputzkästen nichts mehr ändern, die – passend für die „Beerdigung“ – in der neuen sachlichen schwarz-weissen Farbgebung auf den Bahn-Paletten parat stehen, aber nicht mehr ausgeliefert werden.

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  1. 1Auswahl von Mewa Produkten – darunter der Servierboy und die Kakteengiesskanne von Wilhelm Kienzle. Grafik: Raphael Amport
  2. 2Werkzeug- und Schuhputzkisten von Wilhelm Kienzle aus der Sammlung Stefan von Bartha. Bilder: Sandra Amport