Papanek

Aus einer gebrauchten Lebensmitteldose ragen wirre Kupferdrähte über den Rand. Kuhdung, Kabel und ein Nagel sind weitere Zutaten eines Radioempfängers für die Dritte Welt, den Victor Papanek mit George Seeger Mitte der 1960er-Jahre entwickelt. Was für ein Affront für die Designwelt jener Tage, die gerade die puristischen Hifi-Anlagen von Dieter Rams feiert.

Mit Design für die reale Welt publiziert der Designer und Theoretiker Papanek 1971 sein Hauptwerk und das meist gelesene Designbuch der Welt. Es beginnt mit den Zeilen: «Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Designers. Aber viele sind es nicht.»
Es ist der Auftakt zu einer scharf formulierten Abrechnung mit dem Beruf des Industriedesigners und Vorschlägen, wie man es besser machen kann. Anstatt echten Bedürfnissen zu begegnen, würden die Stars der Szene wenig innovative Produkte neu stylen, um den Verkauf anzukurbeln.

Die Aussicht auf guten Absatz nähme sogar die Gefährdung des Lebens in Kauf: In der westlichen Welt etwa mit Autos, die fürs Auge, aber nicht für die Sicherheit gebaut werden. In der dritten Welt mit der Ausbeutung von Mensch und Umwelt, um andernorts mit günstigen Preisen konkurrenzfähig zu bleiben.

Mit SUV und Smartphones finden wir aktuelle Beispiele für Missstände, deren Ursprung Papanek vor 50 Jahren seiner eigenen Zunft zur Last legte. Viele Berufskollegen sahen ihn nicht nur als Nestbeschmutzer, sondern taten seine Gegenvorschläge, die von der kindersicheren Pillendose bis zur ad-hoc-Transformation vom Personen- zum Krankenwagen reichten, als naiv, weltfremd und hässlich ab.

Anders sah das eine jüngere Generation, die in den 1960er-Jahren gegen die Losung Fortschritt durch Technik und die rigiden Gesellschaftsregeln rebellierte. Sie verstand Papaneks Anleitungen, wie man mit einfachen Mitteln eigene Möbel bauen kann, auch als Anleitung zum Ausbruch aus der elterlichen Konsumwelt.

Design für alle

Seine bei Vorlesungen und Vorträgen formulierte Forderung, dass Design für alle sei und sich auch nach den Bedürfnissen von Kindern, Alten, Kranken und Armen zu richten habe, war die Forderung nach einer gerechteren und friedlicheren Welt. Indem Papanek Design zu einem politischen und sozialen Anliegen machte, wurde er zu einer der einflussreichsten Stimmen einer ganzen Generation.

Dabei hatte sich diese Rolle zunächst gar nicht abgezeichnet. Als Teenager flüchtete er 1939 mit seiner Mutter aus Wien nach New York. In den USA arbeitete er mit Raymond Loewy und Frank Lloyd Wright bei zwei der berühmtesten Gestaltern seiner Zeit, bevor er unter dem Namen Design Clinic ein Studio eröffnete. Die dort entstandenen Entwürfe reihen sich aller Extravaganz zum Trotz recht nahtlos in die übrige Produktion des amerikanischen Mid-Century-Designs ein.

Für Papaneks Entwicklung zum mahnenden Lehrer ist die Berührung mit indigenen Kulturen, zu denen ihn zunächst sein Militärdienst und später Aufträge der Unesco bringen, bedeutungsvoller. Die Einfachheit und Effizienz der Inuit-Werkzeuge beeindrucken ihn tief. Gleichzeitig werden ab Ende der 50er-Jahre quasi aus den eigenen Reihen immer mehr Stimmen laut, die die Kommerzialisierung des Designs in Frage stellen. Ohne Buckminster Fuller, Bernard Rudofsky, George Nelson und viele andere wäre Papaneks umfassende Kritik nicht denkbar.

Bild einer Aufbruchszeit

Auch wenn derzeit unter dem Eindruck des Klimawandels und nicht abreissender Flüchtlingsströme Ausstellungen und Publikationen zu Nachhaltigkeit, Selbstbaumöbeln und Notunterkünften en vogue sind, ist es mehr als legitim, an denjenigen zu erinnern, der massgeblich dazu beigetragen hat, dass Design nicht bloss als schöne Form, sondern als Beitrag für eine bessere Welt verstanden werden soll. Die Ausstellung im Vitra Design Museum zeichnet ein umfassendes Bild jener Aufbruchszeit, in der Papanek einer unter anderen, aber immerhin der meistgehörte war.

Sie zeigt nicht nur sein bewegtes Leben anhand zahlreicher Gegenstände aus dem Papanek-Archiv, sondern spürt dem weiten Beziehungsnetz nach, das ihn mit Vertretern verschiedenster Disziplinen zusammenbrachte.

Der Hauptteil der Ausstellung zeugt von Papaneks scheinbar unerschöpflichem Ideenreichtum: Vom Spielplatz bis zum Symbol für Barrierefreiheit entstanden meist unter Mitwirkung seiner Studierenden Objekte für alle Lebensbereiche. Ergänzt werden diese historischen Beiträge durch Entwürfe der Gegenwart, die einem die Aktualität von Papaneks Botschaft eindringlich vor Augen führen.

Defizite in der Diskussionsführung

So erhellend die reichhaltige Ausstellung im Detail ist, sie kommt kaum über die vielen Beispiele und Episoden hinaus. Ohne übergeordnete Kategorisierung von Papaneks Anliegen, bleibt es schwierig, sich in seinem Denken zu orientieren. Und es bleibt am Ende vage, worin die politische Dimension von Design bestehen könnte, wenn man nicht auf der Ebene der Beispiele argumentieren möchte. Dazu passt leider auch, dass die teils berechtigte Kritik an Papaneks Werk kaum zur Sprache kommt. Die von Papanek gewünschte Diskussion kommt so nicht in Gang. Und so bleibt dem Besucher denn auch verborgen, warum das Kuhmist-Radio nicht nur von westlichen Designern, sondern auch von denjenigen abgelehnt wurde, für die er es entwickelt hatte.

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  1. 1Media-Wall im Vitra Design Museum. © Norbert Miguletz