Paparazza Moderna

Grosse Architekten sind zuweilen anspruchsvolle Persönlichkeiten. Ihren divenhaften Auftritten zum Trotz gehören sie kaum zum Beuteschema eines Paparazzo – schon gar nicht, wenn sie lange tot sind.

Allein deshalb ist die kleine, aber feine Ausstellung in der Vitra Design Museum Gallery ein Novum. Das aus Francisca Rivero-Lake und Carla Verea bestehende mexikanische Künstlerinnenduo Lake-Verea ist in den vergangenen Jahren als „Paparazza Moderna“ den ganz Grossen der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts mit Kameras und allen nötigen Informationen zu Leibe gerückt.
Fernab ausgetretener Pfade fokussieren sie zunächst auf die verschlungenen Lebenswege der Protagonisten. Als Quellen dienen ihnen nicht die zahllosen Fachpublikationen, sondern Internetrecherchen. Ausgiebiges Googeln belohnte sie etwa mit der schönen Geschichte von Rudolph M. Schindler und Richard Neutra – zwei Architekten aus Wien, die aus Bewunderung für Frank Lloyd Wright nach Kalifornien auswanderten. Der in allen Lagen experimentierfreudige Schindler, liiert mit einer Künstlerin, die balinesische Tänzerinnen im Vorgarten oben ohne auftreten lässt, empfängt 1925 seinen vergleichsweise biederen Landsmann Neutra mit Frau und Kleinkind. Gemeinsam wohnen sie in Schindlers eben fertig gewordenem Haus an der Kings Road in Los Angeles. Lange geht das nicht gut. Um so weniger als Neutra einen wichtigen Auftrag von Schindler erbt, nachdem dieser der Frau des Auftraggebers nachgestellt hatte. Danach herrscht Funkstille bis sie Jahrzehnte später zufällig im gleichen Krankenhauszimmer nebeneinander liegen. Einen guten Teil der fünf Tage sollen sie singend und lachend dort verbracht haben. Ähnlich Pikantes spüren Lake Verea auch bei den andern Architektenpaarungen Walter Gropius-Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe-Philip Johnson auf.

Pointiert andersartig

Die ungewöhnlichen Architekturfotografien zeichnen dabei die von Anziehung und Abstossung geprägten Lebenswege ihrer Urheber schemenhaft nach. Gleichzeitig entwickeln sie ein Eigenleben, indem die gebauten Architekturikonen selbst in den Fokus der reisserischen Berichterstattung geraten. So zeigt sich etwa das letzte Gemeinschaftswerk von Gropius und Breuer, das Abele House, in desolatem Zustand. Die Kameras erspähen ausrangierte Fenster, Bauschutt und einen lebensgrossen blauen Stoffaffen unter dem Vordach. Wer mag hier hausen?

Lake Verea nähern sich ihren Objekten direkt und unvermittelt: Sie halten Details fest und versuchen einen Blick ins Innere zu erhaschen, ohne sich vorher anzumelden und ohne Genehmigungen abzuwarten. Sie arbeiten mit je zwei gleichen analogen Kamerasets, die sie immer wieder vertauschen, um die Urheberschaft zu verschleiern. Wie schon bei der Internetrecherche wird so auch hier die Zuverlässigkeit der Informationsquelle in Frage gestellt. Gerüchte werden in die Welt gesetzt, die dank der grossen Suggestivkraft der Fotografien zusehends zu Wahrheiten geraten Lake Verea gelingt damit ein pointiert andersartiger Blick auf die Architekturgeschichte der Moderne und weit mehr als ein schnelllebiges Skandalbild.

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  1. 1Francisca Rivero-Lake und Carla Verea vor dem Wohnhaus von Richard und Dion Neutra in Silver Lake, Los Angeles.