Thron

Im Ernst: Hätten Sie diesen Stuhl als Bauhausentwurf erkannt? Erst vor wenigen Jahren war es dem Bauhausarchiv in Berlin möglich, das bis dahin nur auf Fotografien überlieferte und längst verschollen geglaubte Möbelstück zu erwerben. Marcel Breuer, der das Holzgestell entworfen und in Handarbeit gefertigt hatte, diente der wuchtige Sessel als Ausgangspunkt für seine Fotomontage „Bauhaus Film, fünf Jahre lang“. Darauf dokumentiert er die Entwicklung des Sitzmöbels mit fünf eigenen Entwürfen – unter anderem auch mit dem berühmten Clubfauteuil aus Stahlrohr für Kandinsky als Vorstufe zur leicht ironischen Vision einer Luftsäule, die das Sitzmöbel in Zukunft ganz ersetzen wird. Wie aber kann Breuer dieser klobige thronartige Stuhl als Grundlage für die leichten und klaren Bauhausklassiker dienen?

Der neunzigste Geburtstag des Staatlichen Bauhauses in Weimar gab im letzten Jahr mit nicht weniger als drei Ausstellungen Gelegenheit, sich von den Anfängen des Bauhauses einen Eindruck zu verschaffen – einer Ausbildungsstätte, die keine fünfzehn Jahre Bestand hatte, 1933 ihre Tore für immer schliessen musste und dennoch wie keine andere Institution als Synonym für die Moderne steht: Ihre Errungenschaften sind als Bilder und Skulpturen, als Architektur, Möbel und Alltagsgegenstände zu festen Bestandteilen unserer Umgebung geworden.

Als ihr leitendes Gestaltungsprinzip wird immer wieder der Funktionalismus genannt – die Vorstellung also, dass sich die Formgebung aus den funktionalen Anforderungen an einen Gegenstand ableiten lasse. Damit erklärt sich dann auch der als modern empfundene Verzicht auf Ornamente und die Schlichtheit der Entwürfe. Zu dieser Auslegung haben die Bauhäusler zu einem guten Teil selbst beigetragen, indem sie für sich in Anspruch nahmen, die Lebenswelt des Menschen vom repräsentativen Ballast zu befreien und stattdesssen die Brauchbarkeit in den Vordergrund zu stellen.

Breuers Afrikanischer Stuhl scheint diesen Anspruch freilich in keiner Weise zu erfüllen. Gerade deshalb gibt er Anlass, die Vorstellung von der Funktionalität als dem Grundprinzip des modernen Möbelentwurfs zu hinterfragen.

Breuer bearbeitete die Planken mit einfachem Schnitzwerkzeug und verwendete grobe Dübel für die Holzverbindungen. Gunta Stölzl zog die Kettfäden für die textile Sitz- und Rückenlehne direkt ins Holz ein, so dass die Holzkonstruktion gleichsam zum Webstuhl wurde, auf dem sie den in erdigen Farbtönen gehaltenen Stoff weben konnte. Am fertigen Möbelstück bleiben die einfachen Mittel, mit denen der Stuhl geschaffen wurde, sichtbar. Ganz im Gegensatz zur später angestrebten seriellen Herstellung, kehren Breuer und Stölzl bewusst die handwerkliche Fertigungsweise nach aussen. Der Afrikanische Stuhl wird damit von der Überzeugung beseelt, dass ein Möbelstück Ausdruck einer unverstellten und wahrhaftigen Gesinnung sein soll, die sich in einer bestimmten Form der Herstellung manifestiert.

Breuer und Stölzl finden die Vorbilder für diesen authentischen Ausdruck in den Erzeugnissen der sogenannt ‘Wilden’ und ‘Primitiven’, deren Masken und Idole Picasso und viele andere Künstler bereits einige Jahre vorher beeindruckt hatten. Diese vom religiösen Kult geprägten Objekte entzogen sich den Kategorien abendländischer Kunst und verkörperten in den Augen der westeuropäischen Avantgarde ein echtes und zugleich freies Kunstschaffen. Nicht zufällig orientieren sich deshalb die jungen Bauhausschüler sowohl beim Entwurf als auch bei der Herstellung an archaischen Vorlagen. In der Rückbesinnung auf diese ursprünglichen Formen versuchen sie, den Stilzwängen ihrer Zeit zu entgehen und setzen zugleich die Grundlage für einen Neuanfang. Vor diesem Hintergrund liegt das Hauptanliegen des modernen Möbelentwurfs nicht primär in seiner Funktionalität, sondern im Bemühen, ein Gefühl der Authentizität zu vermitteln.